EinBlick in die Arbeit – Interview mit einem Dämon

„Auch wir haben unsere Regeln: Die Seele muss seit mehr als 6 Jahren in dem physischen Körper festgehalten sein und bevor der Antragsteller besessen wird muss ein Vetrag von beiden Seiten unterschrieben werden.“

Francis war über die Zeit ganz bleich geworden. Er wusste, es war eine heikele Sache gewesen, den Auftrag anzunehmen. Doch was sollte er in seinem Alter tun? Endlich hatte er die Chance auf seine eigene Doku – Reihe bekommen. Das erste Mal stand er alleine, als Hauptmoderator vor der Kamera und das wollte er sich jetzt auch nicht mehr nehmen lassen: „Und was ist der nächste Schritt?“ 

„Kommt drauf an, was für ein Service verlangt worden ist.“

„Was kostet ihr Service denn so?“

„Nicht. Viel.“ Schüttelt Evangelius langsam den Kopf hin und her, bis Francis seine Bewegung mitmacht. „Welchen Service bieten Sie denn neben jemanden zu… das jemand besessen von Ihnen ist an? Und wie gehen Sie da vor?“ Er sieht Evangelius mit großen Augen anhimmelnd und sabbernd an. 

Evangelius räuspert sich kurz. Erfreut über die Frage, legt er nun erst richtig los: „Von jemanden Besitz zu ergreifen ist nur ein Teil eines Services, den wir anbieten. Diese Dienstleistungen sind nach Zielen benannt. Unser Hauptziel ist dabe unsere Klienten zu beschützen.“

Francis hat sich nun aus dem Bann wieder rausziehen können. Noch leicht benommen schüttelt er den Kopf und reibt sich die Augen: „Und was sind das für Ziele? Und wie gehen Sie da vor?“

Im Fernsehen läuft die VHS-Kaste. Die dramatische Musik ertönt und Francis Stimme erklingt darüber: „Nur eine kurze Werbeunterbrechung, dann gehts sofort weiter mit „Einblick in die Arbeit.“ Eine andere Stimme ertönt: „Diese Folge wird gesponsert von „Wir sind du – immer da, wenn du uns brauchst.“

Evangelius blickt auf uns herab. Er trägt einen langen schwarzen Ledermantel und eine dunkle Sonnenbrille. Eine motivierende Stimme spricht über die Werbung: „Wir!“ 

„Wir, sind der Schutz!“ Der Dämon stellt sich vor eine schwangere Frau um sie vor einem heranlaufenden Zombie, der einen Flaschenkopf abbeißt zu schützen.

„Wir, sind die Liebe“ Der Dämon zieht den männlichen Part von einem Pärchen weg und schiebt ihn zu einer Anderen hin. Der zuckt mit den Schultern und macht da weiter, wo er bei der Anderen aufgehört hat.

„Wir, sind die Vergebung“ der Vorhang eines Beichtstuhls öffnet sich. Wir nehmen Platz. Der Dämon sitzt auf der anderen Seite, er sieht zu uns und sieht uns über den Rand der Sonnenbrille an. 

„Wir! Wir geben dir ein Zuhause.“ Ein junges obdachloses Mädchen mit Piercings und Tattoos sitzt mit ihrem Hund am Boden vor einem Geschäft. Der Dämon reicht ihr die Hand und zieht sie hoch.

„Wir machen ALLE deine Wünsche wahr.“ Ein Mann im Anzug steht in einem Großraumbüro im Gang und wirft Geldscheine nach oben. Der Dämon hat seinen Arm auf des Mannes Schulter gelegt und zeigt mit dem Finger in unsere Richtung.

„Wir sind du.“ Wird der Titel der Werbung eingeblendet. „Immer da, wenn du uns brauchst.“

„Willkommen zurück bei Einblick in die Arbeit. Mein Name ist Francis Hyde und ich bin heute hier mit dem Dämon Evangelius O’Connor, der uns gerade über die Dienstleistungen seiner Arbeit berichtet hat. 

„Wir haben Schutz, Liebe, Vergebung, Zuhause, aber natürlich auch Geld, Erfolg“ Evangelius macht eine kurze Pause und sieht Francis lange an, sodass dieser schluckt. „Und Rache.“ Ergänzt er die Aufzählung. „Jeder Service hat eine Checkliste, die auf die jeweilige Seele angepasst ist und bevor wir beginnen gehen wir diese sogar gemeinsam durch.“ Bietet Evangelius Francis seine Dienste an. Noch nicht ganz überzeugt von dem Konzept, erinnert sich Francis daran, warum er eigentlich hier ist. „Können Sie mir ein Beispiel eines Ablaufes geben? Vielleicht von einem kürzlichen Fall?“ 

„Aus Datenschutzgründen darf ich keine Namen nennen, aber kürzlich hatte ich einen Fall, eines kleinen Mädchens. Die jüngste der Familie.“ 

Isabell sitzt an dem Esstisch der vier-köpfigen Familie. Sie hat ihre Füße hinter die Stuhlbeine geklemmt, um den langen Beinen ihrer baldigen Stiefschwester zu entkommen, die ihr immer wieder entgegen geschwungen kommen.

„Sie ist gerade 6 Jahre alt geworden.“

 Die Familie isst überbackenen Fisch mit roter Soße und Ofenkartoffeln. Der lange Tisch ist mit einem weißen Läufer und einer schönen großen Porzellanblumenvase gedeckt. Am Kopf sitzt Isabells Stiefmutter am Fußende ihr Vater. 

„Ihr Vater wird bald neu heiraten. Die neue Frau, sehr nett, aber häufig überfordert, bringt ihre eigene 14 – Jährige – Tochter mit in die Ehe.“

Ihre baldige Stiefschwester, Pia, fletscht die Zähne, während sie immer wieder mit Nachdruck in die Kartoffel sticht. Dabei zeigt sich ihre große Zahnspange, die sie am Morgen vom Kieferorthopäden bekommen hatte. Sie hat bereits zwei Schmerztabletten genommen, aber auch die lindern den Schmerz nicht. Verheult und wütend sitzt sie Isabell gegenüber. 

„Sagen wir, die Ältere ist nicht besonders glücklich über die neue Situation.“

Pia springt auf und zeigt auf Isabell: „Sie hat mich getreten.“ Isabell blickt zwischen ihren Eltern und ihrer Halbschwester hin und her. „Nein, hab ich nicht.“ „Schluss jetzt.“ Sagt die Mutter im ruhigen Ton. „Setzt euch wieder hin und esst weiter.“ „Aber sie hat mich getreten.“ Der Vater ignoriert das Geschehen und isst genüsslich weiter. „Hab ich nicht. Wirklich nicht.“ Sieht Isabell hilfesuchend ihre Stiefmutter an. „Du bist eine Lügnerin.“ Nun steht auch Isabell auf: „Ich lüge nicht! Ich habe nichts gemacht!“ Pia beugt sich über den Tisch zu ihr rüber und beginnt zu singen. „Du bist eine Lügnerin, Isabell ist eine Lügnerin, eine feige Lügnerin.“ „Ich lüge nicht! Halt den Mund!“ Doch Pia singt weiter. Kurz wird Isabell still. Als Pia ihr nun die Zunge ausstreckt, schleudert Isabell ihren Teller, mit dem noch warmen Essen in Pias Gesicht. „Jetzt ist aber Schluss, verdammt nochmal!,“ springt der Vater auf, packt Isabell am Kragen, zieht sie aus dem Zimmer, die Treppe hoch und sperrt sie in die Abstellkammer. „Du wirst jetzt schön darüber nachdenken, was du getan hast.“

Isabell hört des Vaters Schritte auf der Treppe, wie sie sich langsam entfernen. In der Kammer ist es dunkel. Isabell tastet am Boden entlang, bis ihre Hände eine kleine Box finden, die Isabell öffnet. Sie beinhaltet eine kleine Lampe mit extra Batterien, eine Packung Wachsmalstifte und ein paar Bögen Papier. Die Box hatte ihre zukünftige Stiefmutter dort unter gebracht, nachdem Isabell das erste Mal von Ihrem Vater dort eingesperrt worden war. 

„Und da kommen Sie ins Spiel?“ Fragt Francis berührt.

„Genau.“ 

Isabell sitzt am Boden und malt. Sie wirft einen großen Schatten an die Wand. Kurz geht die kleine Lampe aus und wieder an. Unbemerkt erscheint Evangelius vor ihr. Isabell macht die Lampe nochmal aus. Tauscht im Dunkeln, blind die Batterien aus, macht dann die Lampe wieder an und legt sie an selbe Stelle wieder zurück. Dann fühlt sie sich beobachtet und hält inne. Als Isabell aufblickt, lächelt Evangelius sie an. „Hallo“ flüstert Evangelius.

„Hallo,“ gibt Isabell freundlich leise zurück, „Wer bist du?“

„Evangelius. Wollen wir Freunde sein?“

Isabell legt den Wachsmalstift nieder und nickt freudig. „Was hast du da?“ 

„Das ist eine Checkliste.“ Er nimmt die Taschenlampe und leuchtet das Papier an, damit Isabell sie lesen kann. 

„Es ist wirklich traurig, das Kind konnte nicht mal richtig seinen eigenen Namen schreiben.“ Schüttelt Evangelius betroffen den Kopf.

Isabell studiert einige Sekunden die Checkliste blickt den Dämon an und zuckt mit den Schultern. 

„Dann konnte sie wohl auch nicht die Checkliste lesen?“ 

Erneut schüttelt Evangelius den Kopf und presst dann die Lippen auf einander. 

Der Dämon dreht die Checkliste zu sich und beginnt zu lesen. 

„Du sagst stopp, wenn du fragen hast oder wenn dir was gefällt okay?“

Das Mädchen nickt.

„Die hab ich ihr vorgelesen, sie hat viele Fragen gestellt, sehr aufmerksames Mädchen.“ Er atmet tief durch, seufzt, schüttelt sich kurz und grinst den Journalisten dann breit an. „Schlussendlich, haben wir dann etwas gefunden, das passt.“

Isabell nimmt den Wachsmaler wieder auf und kringelt ein paar unlesbare Buchstaben unter die Checkliste. 

„Und was für Dienstleistungen hat sie in Anspruch genommen?“

„Es handelte sich dabei um eine Basic – Schutz – Checkliste. Keine Extras. Enthält nur das Nötigste um Täter und potentielle Täter von unserem Klienten fern zu halten.“ 

„Zum Beispiel?“

Die Eltern der beiden verabschieden sich von Pia. Sie sind schick angezogen. Isabell ist noch mit dem Dämon im Abstellraum. Ihre ältere Halbschwester geht die Treppe hoch und bleibt vor der Tür des Abstellraumes stehen. Gehässig klopft sie laut donnernd gegen die Tür. Um dann warm und weich zu fragen: „Heeey, wie gehts dir? Du kleines Mäuschen? Hab ich mal wieder dafür gesorgt, dass du da drinnen landest? Du hattest ja gar nicht genug zu essen… Weißt du was? Wenn unsere Eltern gefahren sind, dann hol ich mir deine Schokolade aus dem Belohnungsschrank.“

Im Abstellraum blicken Isabell und der Dämon sich an. 

Die ältere Schwester verlässt wenig später das Zimmer, mit lauten Türen knallen, als wäre das Haus ihres und will die Treppen hinunter gehen. Sie tritt auf die erste Stufe, da klappt diese nach vorne. Die Treppe verwandelt sich in eine Rampe, sodass sie ausrutscht und etwas verwirrt unten ankommt. Als sie aufsteht und sich umblickt, ist die Treppe wieder normal. Sie schüttelt den Kopf und geht Richtung Küche. Die Tür steht offen. Die Küchentür ist eine sehr schwere Tür, die immer wieder ins Schloss fällt. Die ältere Schwester geht langsam und vorsichtig voran. Kaum hat die Schwester die Schwelle der Tür betreten, lässt der Dämon die Tür los und trifft dabei die Nase der Schwester. Diese fällt rücklings um. Schreit. Die Nase ist gebrochen und blutig.

„Und das wars?“ Fragt Francis, der sich inzwischen zusätzlich Notizen macht. 

„Für die Nacht, ja. Um erfolgreich zu sein, arbeiten wir mit Wiederholungen, um eine permanente Prägung vorzunehmen.“

Die Eltern sind zurück. Die ältere Schwester läuft zu ihnen hinaus auf die Straße. 

„Was ist denn mit dir passiert?“ Fragt die Mutter erschüttert und besorgt. 

„Isabell. Sie war das.“

„Sie war das? Was ist denn passiert?“ Runzelt die Mutter die Stirn.

„Die Treppe, die Tür, meine Nase Mama! Jetzt stell doch nicht soviel Fragen. Ich glaube sie ist gebrochen.“

Der Vater sieht sich die Nase genauer an. „Hast du sie rausgelassen?“ Fragt er.

„Nein, natürlich nicht.“ 

„Wie konnte sie dass dann gewesen sein?“ Die Mutter lässt von ihrer älteren Tochter ab. Pia schreit auf, als der Vater noch mehr an der Nase rum drückt. „Ja, die ist gebrochen.“

Die Mutter geht nach oben und lässt die jüngere aus der Abstellkammer und nimmt sie in den Arm. Mit einem sehr schlechten Gewissen.

„Und was ist mit dem Klischee, das Kreuz umzudrehen oder fallen zu lassen?“

„Symbole helfen uns.“

Die Mutter bringt Isabell ins Bett, dabei gibt sie ihr ein Küsschen auf die Stirn. Als sie sich wieder aufrichtet, sieht sie, dass das Kreuz über ihrem Bett ein wenig schief hängt und hängt es wieder gerade auf. Die Mutter will zu Tür gehen, da fällt das Kreuz herunter und hinters Bett. Schlagartig dreht die Mutter sich um. Isabell nimmt ihr Kuscheltier noch mehr in den Arm. Sie ist bereits eingeschlafen. Die Mutter bleibt verängstigt zurück. 

„Die Menschen verbinden damit Sicherheit. Wir haben nichts gegen Sicherheit ganz im Gegenteil, wir beschützen ja. Dämonen haben unter verschiedenen Namen, über Jahrtausende in verschiedenen Religionen gearbeitet. Nun sind viele von uns mittlerweile selbstständig. Der direkte Kontakt mit dem Kunden schafft vertrauen. Sie wissen dann einfach mit wem sie es zu tun haben.“ 

„Also nicht um ihrem Anführer zu huldigen?“

„Wir nehmen diese Symbole runter um Angst zu schüren.“

„Jeder Anführer, dem dadurch gehuldigt wird Angst und Zerstörung zu bringen, ist ein… Diktator.

„Aber machen Sie das nicht auch?

„Angst und Zerstörung verbreiten? Nur um unsere Klienten zu schützen.“

Francis schluckt und lacht unsicher: „Sieht so aus, als hätte das kleine Mädchen in Ihnen eine neue Familie gefunden. 

Der Kameramann bemerkt wieder kleine Störungen im Bild.

„Wie ich schon sagte: Ein Dämon“ beginnt der Dämon. Die Störungen im Bild werden größer. 

„Zu sein.“ 

Zu Hause im Fernsehen läuft die alte VHS-Kassette. Doch anstatt des Interviews laufen die Nachrichten. Eine Frau in einem weißen Nachthemd, schwarze lange Haare läuft im Hintergrund in einem Krankenhaus unbemerkt von einem Gang in den anderen. Kamera Störung. Mädchen mit schwarzen Augen verdreht sich einmal komplett. Kamera Störung. Junge steht mit roten Augen mit einer Schusswaffe in einer Schule. Die Anderen rennen schreiend weg. Kamera Störung. Jemand steht oben am Hochhaus. Die Zuschauer unten Filmen und machen Fotos. Die Person blickt auf ihr Handy.“ Please just die!“ „Go for it! Kill yourself!“ Störung. 

„Ist kein Job.“ Fährt der Dämon fort.

Dann wird das Bild wieder klar. Anstatt von Evangelius sitzt nun Isabell mittig hinter dem Schreibtisch, die Hände gefaltet auf den Tisch gelegt, wie ein Versicherungsvertreter.

„Es ist ein sein.“ Flüstert Isabell.

Ende.

Pages: 1 2 3 4